Sprache

Sep 01 2013

Angestoßen durch eine Anstoßnahme daran, dass ich die Vereinigten Staaten von Amerika kurz als "žAmerika" bezeichnet habe, habe ich beschlossen, zu diesem Thema einige Fragen zu stellen: Was ist Sprache eigentlich? Wodurch wird eine Sprache definiert? Wer bestimmt, was "žrichtig", was "žfalsch" ist?

Ich möchte jetzt hier nicht bei Adam und Eva anfangen - was Sprache und was eine Sprache ist, sollte jedem bekannt sein. Doch die Frage nach dem "žrichtigen" und "žfalschen" Gebrauch der Sprache, die ist nicht ganz so einfach zu beantworten.

Kontext
Der Gebrauch einer Sprache hängt in der Regel vom (sozialen) Kontext ab, in dem sie gebraucht wird. Während es in einer wissenschaftlichen Debatte von höchster Wichtigkeit ist, auf eine den festgelegten Regeln entsprechende Sprache zurückzugreifen und auf nicht klar definierte Begrifflichkeiten zu verzichten - kein Politikwissenschaftler würde es jemals wagen die "žVereinigten Staaten von Amerika" als "žAmerika" zu bezeichnen -, so ist Sprache im alltäglichen Gebrauch doch viel flexibler. Wenn ich im Alltag "žAmerika" sage, assoziiert jeder diese Bezeichnung mit den USA - auch wenn dieser Begriff eigentlich formal "žfalsch" ist, ist er dennoch verständlich.

Es lebt!
Nicht wie bei Frankenstein, künstlich zum Leben erweckt (durchaus aber manchmal künstlich verändert), sondern aus sich heraus: Für die Umgangssprache gilt: richtig ist das, was am meisten verwendet wird.
Ein Beispiel: Würden von jetzt an alle bei einer Begrüßung auf deutsch "žHoxliboxli" anstatt einer der üblichen Begrüßungsfloskeln sagen - würde dann nach einem Jahr noch jemand behaupten, "žHoxliboxli" wäre keine Begrüßungsfloskel?
Das ganze geht auch näher und konkreter: es gibt unzählbar viele Dialekte der deutschen Sprache, manche davon sind für Außenstehende derart unverständlich, dass es aufgrund dieser Dialekte schon zu Klagen gekommen ist (wer auf sächsisch einen Flug nach "žPorto" bucht, darf sich nicht beschweren, wenn er dann in "žBordeaux" landet). Dennoch käme niemand auf die Idee, diese Dialekte als "žfalsch" zu bezeichnen - auch wenn sie den formalisierten Regeln der Sprache "žHochdeutsch" nicht entspricht.

Es lebt langsamer!
In vielen Fällen kann eine solche "žModeerscheinung" der Umgangssprache auch in die Hochsprache eingehen. So sind "žgoogeln" und "žtwittern" mittlerweile anerkannte Begriffe.
Doch die Hochsprache ist deutlich lernresistent: Es bedarf einer Formalisierung der neuen Umgangssprache, wobei auch immer eine Auswahl stattfindet (sonst wäre "žYo alder ey" wohl schon längst ein fester hochdeutscher Begriff). Gleichzeitig beschäftigen sich Wissenschaftler und Traditionsverfechter damit, wie man den Genitiv in der deutschen Sprache erhalten kann - man versucht also aktiv, die Veränderung der Sprache aufzuhalten.

Es lebt zu langsam!
Gleichzeitig werden die formalen Definitionen, das Wissen hinter der Sprache, erneuert, ohne dass dies ausreichend in der Sprache gewürdigt werden kann. So gibt es schon lange nicht mehr nur die Lehre der fünf Kontinente - konkret sprechen sich manche Wissenschaftler sogar dafür aus, acht Kontinente zu unterscheiden. (Guess what - "žAmerika" ist nicht dabei!) Hier geschieht also eine aktive Änderung der Hochsprache, indem formale Definitionen durch die Wissenschaft aktualisiert werden. Diese Verschiebung der Konnotation eines Begriffs muss jedoch auch irgendwie verbreitet werden - durch die Verbreitung der Forschungsergebnisse in Umgangssprache. An dieser Stelle müsste man also versuchen die formalen Fehler der Umgangssprache, die, weil Umgangssprache schnelllebiger ist als Hochsprache, in diesem Kontext gar keine Fehler sind, zu identifizieren, als solche zu verbreiten, und korrigieren. (Hier sind wir übrigens im Fachgebiet des wissenschaftlichen Journalismus angekommen.)

Zwischenschichten
Mit der Umdefinition der Umgangssprache erreicht man allerdings nicht jeden. Das Ergebnis dessen ist eine Diskrepanz zwischen alter und neuer Umgangssprache - man hat also eine neue Instanz der Umgangssprache geschaffen. So entstehen nach und nach mehrere "žZwischenschichten" von Sprache, die sich dann über einen längeren Zeitraum konsolidieren und infolge dessen die Umgangssprache wiederum verändern.

Political Correctness
Eine interessante (und meiner Meinung nach völlig sinnfreie) Erscheinung dabei ist die "žPolitical Correctness". Hierbei wird, zumeist aus einer (diskriminierenden) Motivation heraus, ein Begriff geächtet, weil sich die Bedeutung des Begriffs verschoben hat. In der Regel wird dann allerdings ein neuer Begriff dafür eingesetzt, der "žweniger diskriminierend" sein soll.
Mal wieder ein kleines Beispiel dazu: Die Vertreter der Roma finden den Begriff "žZigeuner" für Roma diskriminierend. Nicht unbedingt aus naheliegenden Gründen, aber man findet sich damit ab, und ersetzt den Begriff "žZigeuner" nun mit "žSinti und Roma". So weit - so gut. Paradoxerweise hat diese politische Verirrung nun aber völlig andere Auswirkungen, als geplant: Diejenigen, die also vorher deskriptiv als Zigeuner bezeichnet wurden - fahrende Schauspieler, denen ein unehrliches Handwerk nachgesagt wurde -, nennt man nun "žSinti und Roma", obwohl sie das möglicherweise gar nicht sind. Sinti und Roma hingegen, die heutzutage mehrheitlich nicht mehr Nomaden, sondern "žsesshafte" Mitbürger sind und die ihre Traditionen größtenteils abgelegt haben, benennt man gar nicht mehr. Deklamiert also ein Roma seine Zugehörigkeit zu seinem Volk, ruft dies genau die negative Assoziation hervor, die vorher im Begriff "žZigeuner" mitschwang.
Das lässt doch nur eine einzige Frage zu: "žUnd wie ist das jetzt besser als vorher?"

In conclusio
Zusammenfassend also das, was ich damit sagen will: Benutzt Sprache verständlich - wer "žAmerika" sagt, meint vermutlich die "žUSA", das ist aber kein Grund, ihm deswegen Dummheit an den Kopf zu werfen - schließlich ist das allgemeiner Sprachgebrauch, und damit richtig. Und überlegt einmal, ob es tatsächlich politisch korrekt ist, politisch korrekte Bezeichnungen zu verwenden, oder ob man sich nicht doch wieder angewöhnen sollte einen "žMenschen mit besonderen Bedürfnissen" einfach kurz "žbehindert" zu nennen, schließlich ist er genau das: in der Ausübung bestimmter Tätigkeiten behindert.