Nicht von dieser Welt

Jun 04 2016

Kennt ihr das? Man sitzt abends gemütlich mit seinen Freunden zusammen bei einem Bier, und jeder erzählt Anekdoten aus seinem Arbeitsalltag. Die Stimmung ist gut, alle lachen - und einer schweigt. Man denkt sich: der ist aber still heute. Vielleicht müde, vielleicht krank. Oder schüchtern. Introvertiert.

Tja, ich bin einer von diesen Schweigenden. Klar, ich rede sonst auch nicht viel, aber gerade bei dieser Gelegenheit ist kein Ton von mir zu hören. Denn ich bin auf eine ganz besondere Art anders: Ich bin Informatiker. Software-Entwickler, um genau zu sein. Und ich erlebe jeden Tag so viel Mist, bekomme jeden Tag eine Wagenladung voller Anekdoten vor die Nase gesetzt, ich muss nur zugreifen und sie einstecken. Und dennoch schweige ich. Warum?

Dazu muss ich etwas ausholen. Zu den Anekdoten der Anderen. Da ist zum Beispiel Peter. Peter ist LKW-Fahrer, aus Leidenschaft. Er hat nach dem Abitur beschlossen, lieber eine Ausbildung zu machen, und seine Begeisterung für Kraftfahrzeuge aller Art zu seiner Berufung gemacht. Und Peter erzählt: "Da fahr ich also auf die A8, wie immer. Mir war ja schon bewusst, dass es ein bisschen geschneit hat. Aber was mich auf der Autobahn erwartet hat, hab ich noch nie erlebt: ich fahr also gemütlich um die Kurve, erschrecke, mache eine Vollbremsung, und steh vor einer weißen Wand. Es hat nicht mehr viel gefehlt, dann hätte ich von meiner Fahrerkabine aus einen Schneemann bauen können. Da hilft dann auch nicht mehr viel - ich ruf' also den Disponenten an und warte auf den Räumdienst." Alle lachen. Weil sich jeder in die Situation reindenken kann.

Oder Timo. Timo hat gerade sein Medizinstudium beendet, und macht die Facharzt-Ausbildung zum Chirurgen. "Und gestern, da war ein Patient da, ich musste mich echt zusammenreißen, damit ich nicht laut loslache... hat der doch glatt eine Bissverletzung im Enddarm. Und erzählt dann, dass er sich aus Versehen auf seinen Hamster gesetzt hat." Noch mehr Gelächter.

Tina, eine Ingenieurin, erzählt: "und ich sitz so da, und baue meine Platine. Ein Widerstand, ein kurzer Leiter, ein Chip, ein Knopf..." - "Ein Knopf?!" - "Jepp, ich Trottel hab einfach mal meinen Hemdknopf auf die Platine gelötet. Macht das nie, Jungs. Das Plastik stinkt wie Hölle, und die Platine ist für'n Arsch." Peter: "Das kann ich mir vorstellen. Ich hatte letztens eine Ladung Tiefkühlfisch, und mitten auf der A6 ist mir dann die Kühlung ausgefallen..." Gelächter. Timo: "Boah, das ist ja sooo eklig. Da hatte ich letztens eine auf'm Tisch, ich glaub, die hat sich ihr Leben noch nie untenrum gewaschen..."

Und dazwischen sitze ich. Schweigend. Ich habe allein an diesem Tag drei Fehler in unserem Produkt beseitigt, Fehler die aus purer Dummheit des Entwicklers entstanden sind, und über die ich mich mit meinen Kollegen noch in einem Jahr lustig machen werde. Ich versuch's also mal: "Heute hatte ich auch wieder einen tollen Bug... da hielt es ein Kollege für eine tolle Idee einen Pointer zu dereferenzieren, den er erst danach setzt. Und das war seit 7 Jahren im Code." Schweigen. "Ein Pointer ist ein Verweis auf eine Variable. Wenn der auf nichts zeigt kann man ihn nicht dereferenziehren. Das führt zu einer Exception." Schweigen. "Einem Crash." Schweigen. "Meine Güte, bei uns hat vor 7 Jahren jemand einen Crash eingebaut, der nie aufgetreten ist, weil die entsprechende Codestelle 7 Jahre lang nie aufgerufen wurde." Ein lautes "Ahhhh" der Menge führt uns dann wieder zurück zu Tina, deren Sensor falsch kalibriert war, und zu Peter, der wegen eines Planungsfehlers von einem Kollegen auf der gesamten Tour verfolgt wurde. Ich schweige. Für den Rest des Abends.

Wir Informatiker, Programmierer, Software- und Datenbankjunkies kommen prima klar mit uns. Aber unser Job ist inkompatibel zum Rest der Welt. Wir sprechen eine andere Sprache, eine Sprache, für die es oft keine Metaphern aus der realen Welt gibt. "Mein Kollege hat heute ein Refactoringprojekt einer der Kernklassen eingecheckt, und dabei den Gluecode vergessen, und ist dann in den Feierabend gegangen..." ist für uns völlig verständlich. Einen "Muggel" habe ich dabei spätestens bei dem Wort "eingecheckt" verloren: Dein Kollege ist Lehrer? Eine Klasse eingecheckt? In ein Hotel?

Refactoring bedeutet, dass Code umgeschrieben wird, sodass er danach strukturierter ist, leichter nachvollziehbar, aber immer noch das gleiche tut. Das ist noch einfach. Bei Klassen wird es schon schwieriger: In einem Programm gibt es jede Menge an "Objekten". Ein Objekt ist dabei eine Ansammlung von zusammengehörigen Informationen. Die Art dieses Objekts nennt man "Klasse". So kann zum Beispiel die Klasse "Auto" die Informationen "Hersteller", "Typ" und "Sitzplätze" beinhalten. Für jedes Objekt Auto sind also dann Hersteller, Typ und Sitzplätze eindeutig zuordenbar gespeichert.
Schon etwas komplizierter, oder? Und jetzt der Hammer: "eingecheckt". Es gibt für uns Entwickler Tools, die sich "Versionsverwaltung" nennen. Das kann man sich vorstellen, wie einen Schrank, in dem unser Quelltext liegt. Jeder Entwickler hat eine oder mehrere lokale, nur für ihn selbst zugängliche Kopien dieses Originalschranks, in denen er arbeiten kann, und wenn er eine Änderung so gemacht hat, dass er zufrieden damit ist, kann er (Teile seiner) Änderungen wieder veröffentlichen. Dazu stellt er eine Kopie seiner Kopie des Schranks vor den Originalschrank, was dann die Kopie seiner Kopie zum Originalschrank für alle anderen Entwickler macht. Abgefahrene Sache, das. Aber wenn man das alles bei jedem Erzählen einer Anekdote von neuem Aufrollen muss, wird aus einem einfachen Satz ein halbstündiger Vortrag, und keiner möchte mehr zuhören.

Ich würde an der Unterhaltung so gerne teilnehmen. Aber die einzigen allgemein verständlichen Versionen des obigen Satzes, ohne die lange Erklärung, sind: "Ein Kollege hat heute kurz vor Feierabend den ganzen Betrieb blockiert." Und: "Ein Kollege hat heute etwas ganz dummes gemacht, und ich durfte es ausbaden." Und während alle anderen ihre Anekdoten anreichern mit Beschreibungen, Metaphern, Adjektiven und Bildern, kann ich nur stupide diesen einen Satz wiederholen.

An solchen Abenden fühle ich mich genau so: nicht von dieser Welt. Ich sitze da, schweige, und wünsche mich nach Hause. Denn so sehr ich die Zeit mit meinen Freunden auch genieße - wenn ich daran nicht teilnehmen kann, kann ich mich auch einfach mit einer Flasche Wein in die Badewanne setzen, und dabei Musik hören.

Hydraulic Fractioning im Zahnschmerz der Grammatik

Mai 15 2014

Auch in dieser Woche bin ich wieder auf einige hochqualitative Artikel gestoßen (worden). Der Gewinner ist diesmal:

Gegen Gasbohren - Video der Woche: Der Frack-Öl-Bombenzug

Dieser Artikel ist so toll, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht beim Titel: Polemisch? Ja. Prägnant? Nicht so wirklich. Was will mir der Autor mit dieser Anhäufung von Worten sagen? Frackzug? Ölzug? Irgendwas mit Krieg? Als Informatiker bin ich versucht, Klammern zu setzen. Also versuchen wirs:

Frack-(Öl-Bombenzug)

Nein, das ließt sich, wie ein Frack aus Bombenteppich. Sowas bekommt man bei keinem Schneider. Höchstens bei einem Friedenspolitiker.

(Frack-Öl)-Bombenzug

Das ließt sich doch schon ein wenig sinnvoller. Was der Zug da macht, ist zwar immernoch unklar, aber ein bisschen soll man ja auf den Artikel neugierig gemacht werden. Nachdem das jetzt endlich geschafft ist, und ich mir auch den Titel erklären kann, geht es also los mit der ersten Neuigkeit:

Öl, oder besser: die durch Wärmeeinwirkung entstehenden Dämpfe sind leicht entflammbar. Nicht nur das, wenn es einmal brennt, kann das unter bestimmten Umständen sogar explodieren. Dem Artikel nach aber nur, wenn es mit der Methode des "Hydraulic Fractioning" gefördert wurde. Auf herkömmliche Art gefördertes Öl ist dagegen ganz harmlos1, und vor allem gibt es keinerlei Argumente gegen das Fracking, die man sonst anführen könnte2.

Nachdem der physikalische Schmerz, den mir diese Offenbarung bereitet hat, erst einmal abgeklungen ist, konnte ich mich dann also mit dem weiteren Artikel beschäftigen. Insgesamt habe ich sechs Grammatikfehler4, einen äußerst dähmlichen5 Rechtschreibfehler6 und ein falsch benutztes Fremdwort7 identifizieren können. Nicht schlecht für einen Text von gerade mal 17 Zeilen Länge.

Nein, mal ehrlich, ein kleiner Fehler kann jedem Mal passieren. Dagegen bin auch ich nicht Imam8. Aber wer an einer Rechtschreib- oder Grammatikschwäche leiden lässt, sollte vielleicht ein Einsehen mit der Welt haben und die Auokorrektur-Funktion welchen Office-Paketes auch immer nutzen. Das ist nicht schwer, und hilft gegen Kopfschmerzen.

Und, nur für den Fall dass die Verantwortlichen das hier lesen und ihren Artikel dann ändern, möchte ich euch noch den Screenshot der Seite, wie ich sie vorgefunden habe, zur Verfügung stellen: Screenshot anzeigen.


1 Die logische Konsequenz wäre, auf fossile Brennstoffe ganz zu verzichten. Aber das zu fordern ist unnötig, es gab nämlich noch nie Unfälle mit herkömmlich gefördertem Öl.
2 Da fallen mir spontan nur das auf extreme Kurzzeitgewinne abgezielte Wirtschaftsinteresse3 und der Umweltschutz (nachzulesen bei Wikipedia) ein. Bestimmt kann man da noch mehr finden, wenn man nur mal drüber nachdenkt...
3 Die Förderungsleistung eines Hydraulic Fracturing-Bohrloches sinkt im Verlauf eines Jahres um 70%.
4 Geben Sie Ihre Stimme den Kandidaten, die schlechter Grammatik in Deutschland den Zutritt zu Deutschland verbieten wollen!
5 Ja, so dämlich.
6 Ich dachte immer "avon" wäre ein Putzmittel. Oder Faltencreme. Irgendwas mit Beraterin auf jeden Fall.
7 Äh, wie noch mal isoliert man einen Vorfall?
8 Sag ich doch!

Schuber und Romanreihen

Sep 05 2013

Wie so oft streune ich in virtuellen Buchläden umher, freue mich meiner Leselust und stöbere durch Sammelbände und Einzelstücke. Ich bin eine Leseratte, doch nicht nur, auch eine Sammlerratte.

Gerade war ich auf der Suche nach einem ganz bestimmten Stück Information. Wie vielleicht einige von euch mitbekommen haben, hat Stephen King ja unter anderem eine sehr komplexe Buchreihe geschrieben, den "žDunklen Turm". Diese Reihe hatte er eigentlich im Jahr 2004 beendet. 2012 hat sich Stephen King nochmals umentschieden, und einen achten Band geschrieben, den er zwischen Band 4 und Band 5 einordnet.
Nun verhält es sich so, dass ich alle sieben Bände des Dunklen Turms bereits als Taschenbuch besitze - in dieser hübsch glänzenden Auflage von Heyne. Und in dieser Form will ich auch den achten Band noch nachkaufen.
Und was macht Heyne? Die veröffentlichen das Buch nicht im alten Layout - sondern machen ein neues. Wer auf gleiches Aussehen steht, kann ja die anderen sieben Bände nochmal im neuen Layout kaufen.

Nun ja, dies ist auf jeden Fall der Grund dafür, dass ich diesen etwas älteren Text von mir noch einmal umarbeite und nun auch veröffentliche. Damals ging es um Eragon und dessen Komplettausgabe im Schuber: Ich stand vor einem virtuellen Bücherregal, in dem mir ein Schuber mit drei Bänden der vierteiligen Eragon-Saga feilgeboten wurde. Drei Bände im Schuber. Vier Bände sollten es am Schluss werden. Nur um sicher zu gehen, zähle ich nochmals nach: Eins, zwei, drei. Tatsächlich. Und kein Platz im Schuber für einen vierten. (mittlerweile gibt es einen Schuber mit allen vier Bänden!) Und da drängt sich mir die Frage auf: Wer zum Geier kauft sowas? Nicht, dass es das erste Mal wäre - nein, es gab bereits DVD-Schuber für Herr der Ringe, Film 1+2, für Harry Potter, Filme 1-4, sowie Bücher 1-4, 1-5 und 1-6, für den Goldenen Kompass, Band 1-2, und die Aufzählung könnte noch unendlich weitergehen. Vor Veröffentlichung jedes einzelnen Schubers war bekannt, dass die Buch/Filmreihe noch nicht beendet ist. Und dennoch: Der Wahnsinn nimmt kein Ende...

Liebe Leser, würdet ihr beispielsweise einen Urlaub buchen, einen dieser All-Inclusive-Urlaube, mit dem Wissen, dass die Sonnenschirme erst ein oder zwei Tage nach Ihrer Ankunft aufgestellt werden können - man will schließlich vor Saisonbeginn anreisen -, nur um dann festzustellen, dass die Schirmständer vorsorglich zubetoniert wurden?
Würdet ihr euch eine Lampe kaufen, ohne Birnen, versteht sich, die müssen noch nachgekauft werden, - nur um dann zu bemerken, dass das Gewinde abgeschliffen wurde?
Würdet ihr euch den Brockhaus in 20 Bänden (beispielsweise als Abo-Version) kaufen - angeboten mit "passendem Regal", in das nur 18 davon reinpassen?

Genauso wenig möchte ich eine unfertige Bandreihe kaufen, bei der die Möglichkeit den letzten Band passend zu den ersten zu erstehen nicht gegeben ist.

Deswegen: Liebe Verlage da draußen! BITTE lasst diesen Schwachsinn, verkauft Schuber erst, wenn ihr das vollständige Produkt habt - oder dies zumindest annehmen könnt. Aber doch nicht, wenn VOR Erscheinen der gesammelten Anthologie schon feststeht, dass noch ein Band erscheinen wird. Das ist nämlich weder lustig, noch praktisch, sondern einfach nur unpassend.

Und WENN es doch noch einmal vorkommen sollte, dass, wie im aktuellen Fall, eine eigentlich fertige Romanreihe nochmal um einen Roman erweitert wird - was ist denn so schlimm daran, diesen passend zu den alten Büchern zu gestalten? Glaubt ihr ernsthaft, dass in der Zeit von eBooks irgendwer sich die anderen sieben Bücher doppelt kauft?

Warum diese Seite?

Jan 01 2001

Manch einer mag sich fragen: Noch ein Blog? Warum das denn?

Nun, das liegt ganz im Zweck der Sache: Ich habe ab und an einmal das Bedürfnis, meine Ansichten über Gott und die Welt - naja, zugegeben, eigentlich weniger über Gott und mehr über die Welt - loszuwerden. Da das auf Facebook nicht immer strukturiert möglich ist, und ich andere Plattformen nicht so sehr mag, benutze ich nun meinen eigenen Blog.

Mehr zum warum, wieso, was hat übrigens Thomas Brandt in seinem Blog "Chaos und Weisheit" geschrieben: Own your own content